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CSS, die Mitte und das Leben

Um eine Box in der Mitte des Bildschirms zu positionieren, schlagen Experten u.A. folgende Konstruktion vor:

position: absolute;
top: 50%;
left: 50%;
width: X;
height: Y;
margin-left: -0.5 · X;
margin-top: -0.5 · Y;

Offensichtlich fehlt dem "visuellen Formatierungsmodell" von CSS1 und CSS2 ein Begriff der vertikalen Mitte. Die Mitte wird über die Ränder definiert. Technisch gesehen ist dies nicht anders möglich, sobald die Fläche vorgegeben ist. Schon beim Layouten auf Papier musste man die Mitte über die Seitenlängen oder im Schnittpunkt der Diagonalen finden. Ein Computerprogramm geht von der Größe des Bildschirms bzw. der Anzeigefläche aus, um die Mitte zu berechnen.

Zum Vergleich: Beim Zirkeln dient der Mittelpunkt als Ausgangspunkt der Randbestimmung. Laut internationalen Schöpfungsberichten wurde auf diese Weise die Welt erschaffen. Anders ist die Schöpfung auch kaum denkbar, denn es gab ja noch keine Welt, keine Grenzen.

Gott mit Zirkel, ca. 1250

Marduk | Salomonssiegel | Shiva | Buddhistische Darstellung | Cihuateteo | Nigeria/Kamerun | Mali

Trotz der technischen Notwendigkeit zur Konstruktion der Mitte aus den Rändern bei vorgegebener Fläche wäre es beim digitalen Layout möglich, uns WebdesignerInnen eine Mitte an die Tastatur zu geben, indem man ihre Konstruktion automatisch erledigt. Dies ist bei Boxen unterlassen, bei Hintergrundbildern aber gemacht worden. Der Befehl

background-position: center center

legt fest, dass das Hintergrundbild ausgehend von der Mitte wiederholt werden soll. Interessanterweise bezeichnet "center" zugleich die vertikale wie die horizontale Mitte. Naheliegend wäre eine Unterscheidung der vertikalen von der horizontalen Mitte durch das Wort "middle". Doch die ist überflüssig, denn welches "center" gemeint ist, ergibt sich aus dem, was nicht im Zentrum steht: aus "left", "right", "top" und "bottom". Laut CSS-Spezifikation ist center dasselbe wie center center. Das "center" ist, sobald man auf seine Explikation verzichtet, zu Metamorphosen fähig. Mal ist es die vertikale, mal die horizontale Mitte: bei einem allein stehenden left ist "center" die vertikale Mitte, bei einem allein stehenden bottom die horizontale Mitte.

Das Verhältnis von CSS zur Mitte lässt sich als ein Gottesverhältnis von Menschen in einer säkularisierten Gesellschaft lesen:

In der Welt der eigentlichen Aktion, in der Welt der Boxen, ist sie nicht unmittelbar fassbar. WebdesignerInnen, die sie brauchen, müssen sie sich selber schaffen und ggf. aus Positiv und Negativ zusammenreimen. In der hintergründigen Welt des Unveränderlichen, höchstens stetig sich Wiederholenden darf sie sein und als Ursprung einer eigenen Ordnung dienen, die aber das Geschehen in der eigentlichen Welt nicht im Geringsten beeinflusst.

Da WebdesignerInnen nicht göttlich sind und die Welt bereits vorhanden, beginnen sie ihre Schöpfungen i.A. mit einer vorgegeben Fläche. Der logisch nächste Schritt wäre die Unterteilung dieser Fläche. Traditionelles Layouthandwerk beginnt entsprechend entweder

  1. mit dem Auffinden der Mitte, um hiervon ausgehend alles Weitere zu konstruieren, oder
  2. mit einer Unterteilung der Fläche, einem Layoutraster.

[Die Raster-Idee ist bereits älter]

CSS boykottiert beides.

Weder ist etwas vorgesehen, das die (quasi theokratische oder monarchistische) Anordnung von Boxen um ein gemeinsames Zentrum ermöglicht, noch etwas, durch das sich (demokratisch) netzwerkartige Strukturen um verschiedene Zentren bauen lassen. Realisierbar wäre ein solches Verfahren, wenn z.B. zwischen den Objekten Relationen definiert werden könnten wie: die Position von A sei relativ zur Position von B definiert; C und D seien relativ zu B positioniert...

Ein Raster könnte sich vielleicht verhalten wie jene Tabellen, die von Webbanausen und -banausinnen massenhaft für ästhetische Zwecke missbraucht wurden und immer noch werden. Aber anstatt dieses Phänomen genauer zu analysieren, schiebt CSS es lieber naserümpfend beiseite. Denn es ist doch allemal besser, Boxen in einen leeren Container zu werfen und jede darin ihren Platz autonom finden zu lassen.

Die Boxen von CSS sind wie Bürger: jede ist ihres Glückes Schmied. Es handelt sich um Bürger in einer spätkapitalistischen Vorstellungswelt. In CSS implizieren Assoziationen zwischen den Boxen Gleichmacherei - das nennt sich "Klasse" - oder Hierarchisierung - das nennt sich "Vererbung". Jede Box darf über eine eigene Identität verfügen (id = ) und einen privaten Glauben pflegen (die Mitte: siehe oben). Beides geht aber höchstens dem engsten Familienkreis etwas an. Denn die Beziehungen zwischen den Boxen sind auf das existenziell Unvermeidliche reduziert: das Enthaltensein (Modell Embryo im Mutterleib), das Vorbeifließen (Modell Straßenverkehr), das Hineinstoßen run-in (Modell Geschlechtsverkehr).

Hergestellt werden diese Beziehungen - spätkapitalistische Vorstellungswelten unterliegen gewissen Beschränkungen - über die räumliche Nähe im Ausgabemedium und - SozialistInnen erkennen hier vielleicht einen Widerspruch zwischen Produktionsweise und -mitteln - über die Position der Textkörper im Code. Durch letztere bestimmt sich so etwas wie eine "natürliche" Stellung im Gesamtgefüge: da wird die Box sozusagen hineingeboren. Man ist tolerant: Abweichungen sind erlaubt (position: relative) - wenn dies auch "keine Auswirkung auf die nachfolgende Box" haben sollte, sogar der Totalausstieg aus jeglicher Sozietät (position: absolute).

Das Gesamtgefüge verändern kann allerdings niemand. "The initial containing block cannot be positioned or floated", heißt es in der CSS-Spezifikation. Das Gesamtgefüge ist nicht eine Qualität, die durch die Beziehungen der Objekte zueinander entsteht, sondern eine Leere, deren räumliche Umgrenzung als Bedingung zur Herstellung von Beziehungen zwischen den nachgeordneten Objekten vorausgesetzt werden muss, und die wie einst Gott absolut gesetzt ist. Dem "initial containing block" indessen sind seine Inhalte vollkommen gleichgültig, gleich gültig. Egal. "Die Freiheit der Boxen", könnte man in Abwandlung von Marx sagen, "basiert nicht auf der Verbindung der Boxen mit den Boxen, sondern vielmehr auf der Absonderung der Boxen von den Boxen."

Hier liegt der Grund, weshalb mit CSS weder Schönes noch Gutes zu machen ist. Schönes und Gutes entsteht in der Versöhnung mit der Endlichkeit der Welt. Schönes wie Gutes gestaltet sich aus Beziehungen zwischen Elementen, die deren Verwirklichung ermöglichen. In CSS aber ist nichts zu versöhnen: die Endlichkeit ist unaufhebbar; die Individuen sind schon in ihrem Wesen vereinsamt. Unser Sein in CSS ist ein Dasein in einer Kiste. Über der Erde ist unter der Erde. Punkt, Schluss und Aus.

Quellen: CSS2 Specification | CSS2 Spezifikation (deutsche Übersetzung)

Maike Arft-Jacobi, 15. September 2003